Zwischen Disruption und Verführung
Michael Auinger und Bernhard Winkler machen sich Gedanken, wie viel Transformation Leadership verträgt.
Einleitung
Transformationale Führungspersonen sind in aller Munde und auch in Europa wieder gefragter denn je. Denn auf der anderen Seite des Atlantik disruptieren solche Persönlichkeiten gerade die europäische Nachkriegsordnung, globale Institutionen der Weltwirtschaft und nicht zuletzt das visionäre Selbstverständnis der eigenen Gesellschaft.
Kanalisiert sich das disruptive Potenzial der Mobilisierung bestimmter Akteursgruppen in der Entscheidungsmacht von Personen, die zu Anführenden dieser Bewegungen werden, kann man ihnen schon
zugestehen, handwerklich einiges richtig zu machen: Sie wirken, trotz aller Widersprüche, für ihre - teils sehr diversen - Stakeholdergruppen glaubwürdig und als Identifikationsfläche. Sie inspirieren und motivieren für eine gemeinsame Sache, sie regen geradezu radikal an, die bisherigen Prozesse, Normen und Standards zu hinterfragen, zu verändern, mit neuen Ideen gar komplett zu ersetzen. Und es gelingt ihnen dabei, als Repräsentant:innen für die Bedürfnisse ihrer Anhänger:innen wahrgenommen zu werden, selbst wenn ihre persönliche Lebensrealität davon weit abweicht.
Attributionseffekt
Ihr Charisma wirkt oft wie eine beeindruckende Persönlichkeitseigenschaft, ist aber letztlich ein Attributionseffekt ihres Umfelds. Diese Zuschreibung entsteht durch ihr von der Norm abweichendes Verhalten, der persönlichen hohen Risikobereitschaft, der effektvollen Kommunikation und Inszenierung einer Vision, sowie einer hohen Sensibilität für die Bedürfnisse der Gefolgschaft und der Ermächtigung von Schlüsselpersonen. Nicht zuletzt bedarf es auch eines hohen politischen Gespürs, um durch das soziale Minenfeld des Wandels zu navigieren. Für den nachhaltigen Erfolg – im Sinne der Gemeinschaft – geht es aber gewissermaßen auch um das richtige Timing des „Absprungs” von der Transformationswelle. Transformationale Führung erzeugt ein effektives Brechen mit dem Status Quo - beispielsweise durch eine Geschäftsmodell-Innovation in Unternehmen. Dieser Change betrifft dann nicht nur Schlüsseltechnologien, sondern auch das visionäre Selbstverständnis, sowie soziale Routinen und Identitäten, die mit - manchmal traditionsreichen - Tätigkeiten verbunden sind. Transformationale Führung verschiebt so bestehende Machtverhältnisse.
Neue Allianzen
Diese Art von Leadership hat große Stärken darin, Bestehendes „aufzutauen” (unfreezing) und die nun beweglich gewordenen Einzelteile neu zusammenzusetzen (moving). Hinter diesen „Einzelteilen” steckt die Mobilisierung von unterschiedlichen Akteursgruppen, deren neue Allianzbildung durch Aushandlung ihrer unterschiedlichen und teils konfliktären Interessen die Innovation/Transformation selbst ist. Transformationales Leadership kann allerdings seine Grenzen in der Phase des „Re-Freezings”, also der Normierung der neuen Strukturen, des neuen Zielzustands, erleben. Um diesen Zustand glaubwürdig zu „verwalten”, müsste die transformationale Führungsperson nämlich genau jenes Verhalten ablegen, das zur Attribution von Charisma durch die Gefolgschaft führt und dadurch sein/ihr „politisches Kapital” aufgeben. In Kombination mit Persönlichkeitszügen, die in der Regel erforderlich sind, um die Wellen der Transformation mit dieser Hingabe zu reiten, käme eine solche Einsicht eher überraschend. Und damit liegt es am Gesamtunternehmen, transformationaler Führung ein Korrektiv entgegenzusetzen – nicht zuletzt darin besteht auch der Nutzen von Bürokratie, Regeln und Routinen.
Korrektiv
Der Raum für die Kompromissbildung der dominanten und emergierenden Systemkräfte entsteht durch die gemeinsame Erkenntnis einer Dialektik: Das Korrektiv und die Disruption sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Ohne das Korrektiv wird mittelfristig auch transformationale Führung den Geistern der unzähligen Stakeholdergruppen nicht Herr (und Frau), die – mit Verheißungen und Handlungen aller Art – herbeigerufen wurden. Wo liegt der Ausweg aus diesem Dilemma? Der nachhaltige Nutzen für das Unternehmen entsteht, wenn Transformation Hand in Hand mit professioneller Personalarbeit geht. Wir haben dazu ein Gespräch mit Motiv- und Trescon-Geschäftsführer Bernhard Winkler geführt.
Michael Auinger:
Was macht den transformationalen Leadertypus aus?
Bernhard Winkler:
Transformationales Leadership ist für mich sehr nahe dran an „charismatischer Führung“ mit all seinen Vor- und Nachteilen. Trotz der Überschneidungen und Ähnlichkeiten sehe ich gewisse Unterschiede: Transformational Führende achten tendenziell stärker auf ihre Mitarbeitenden und es gelingt ihnen sehr gut, diese für ihre Ziele zu begeistern und zu überdurchschnittlichen Leistungen anzuspornen. Sie sind Innovator:innen und Entwickler:innen, setzen auf Vertrauen und stellen die Mitarbeitenden in den Mittelpunkt ihres Handelns; so gelingt es ihnen, deren Vertrauen, Respekt und Loyalität zu gewinnen.
Charismatiker:innen im Gegensatz erzeugen Begeisterung und Bewunderung für ihre Vision, führen mit persönlicher Ausstrahlung und starker Bindung zu ihren Mitarbeitenden (oder im politischen Kontext zu ihren Wählenden). Der Anspruch, die Geführten persönlich und intellektuell weiterzuentwickeln oder sogar zu kritischem Denken anzuregen, wird bei Charismatiker:innen tendenziell deutlich geringer wie bei transformationalen Leadern sein.
Auinger:
Wo findet man transformationale Leader? Welche Biografien haben sie?
Winkler:
Transformationale Leader finden sich häufig im Unternehmer:innen- und Gründungs-Kontext bzw. im Start-up-Milieu; wahrscheinlich sind es Persönlichkeiten, die schon früh Verantwortung übernommen haben und trainiert sind, Visionen und Ziele „zu haben“ und diese auch anderen vermitteln zu können (auch Eigenbrötler:innen können Ziele und Visionen haben, die sie jedoch anderen kaum vermitteln und schon gar nicht dafür begeistern können). Auch im (gesellschafts-)politischen oder spirituellen Kontext finden sich diese Menschen. Wichtig ist es ihnen, andere von ihren Ideen und Vorhaben so zu überzeugen, dass diese bereit sind, „miteinzusteigen“ und es zur gemeinsamen Sache zu machen.
Auinger:
Wie gewinnt man sie für die eigene Sache?
Winkler:
Kann man diese Persönlichkeiten überhaupt „gewinnen“? Wenn nicht von vornherein eine starke Deckungsgleichheit vorhanden ist und sehr rasch „Feuer gefangen wird“, wird es eher schwer sein, eine:n Transformator:in von der eigenen Idee zu überzeugen, vielmehr muss eine solche Person diese zur eigenen Idee machen.
Auinger:
Wie gelingen positiv konstruktive „Machtübergaben“, wenn es in die Phase des Re-Freezings geht?
Winkler:
Das ist sicher eine Herausforderung. Wenn es sich um ein Transformationsprojekt oder -programm handelt, wäre eine gute Möglichkeit, das Engagement von Anbeginn zeitlich zu limitieren, ohne das jedoch in der Organisation zu kommunizieren. Wenn es sich hier um eine nomadische Persönlichkeit im Sinne des MOTIV Resonanztypen-Modells handelt, dann braucht es ein neues, spannendes Projekt entweder intern oder extern. Bei einer sinnarbeitenden Resonanzperson kann das Loslassen aber ganz schön schwerfallen, ähnlich wie bei Unternehmer:innen, die sich bei der Übergabe an die nächste Generation schwertun. Hier braucht es eine sehr gute Begleitung.
Der Autor
Michael Auinger, MSc
Gesellschafter und Consultant
INOVATO Strategische Personal- und Organisationsarbeit GmbH
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