Von der Sinn-Leere zur Sinn-Lehre und der Bedeutung im Kontext Arbeit
“Es liegt im Wesen des Menschen, dass er nach Sinn fragt” (V. Frankl)
Ein Gastbeitrag von Dipl. Päd. Andrea Auinger, MSc und Vera Borrmann, MA

Was bedeutet eigentlich Sinn-voll?
Die Frage nach dem Sinn im Kontext von Arbeit ist eine sehr komplexe. Sie hängt mit unserer Persönlichkeit zusammen, aber auch mit den Strukturen und Systemen, in denen wir leben und arbeiten.
Für viele Menschen und Berufsgruppen war ihr Beruf / ihre Arbeit bisher primär mit einem klassischen Karriere- und Erfolgsweg - Geld verdienen als Existenzsicherung - verbunden. Doch mittlerweile werden zunehmend Fragen nach der Sinnhaftigkeit der Tätigkeit selbst, der eigenen Selbstwirksamkeit, der Arbeitsgestaltung und den Arbeitsmodellen gestellt.
Warum ist das so? Es kommen viele Dinge zusammen: Angefangen bei tiefgreifenden Veränderungen durch die Pandemie wächst nun zunehmend durch die Klimasituation das Bewusstsein für umfassende und integrative Nachhaltigkeit in Hinblick auf Umwelt, Klima, Wirtschaft, Gesundheit, aber auch soziale Bedürfnisse wie Freunde, Familie und „Me-Time“. Hard Facts wie Karriere, Erfolg, Einkommenshöhe und Status werden zunehmend von "Experience Facts“ wie Werte, Sinnhaftigkeit und kreative Gestaltungsmöglichkeiten, Empathie, Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben in Frage gestellt - und in vielen Fällen auch schon abgelöst.
Das rationale Leistungscorporate mit Überstunden, Konkurrenzkampf u.v.m. wird immer unattraktiver. Eine Gegenbewegung zeigen Keywords wie „Corporate Social Responsibility“, „New Work“, „Remote Work“, „Work-Life-Blending“, „De-Growth“ Postwachstumsbewegung an, die stark im Kommen sind und uns „mehr Sinn“ und positive Entwicklung suggerieren. Doch werden wir der Suche nach Sinn mit neuen Labels, Karriere-Möglichkeiten und -Modellen gerecht? Was bedeutet es wirklich, nach Sinn zu fragen, abgesehen von neuen Keywords? Wir haben uns auf die Suche gemacht, wann und wie wir eigentlich Sinn erleben - und wann nicht.
Den Sinn erleben
Eine kleine Übung: Schließen Sie die Augen, atmen Sie 3-mal tief durch und schreiben Sie auf, was für SIE derzeit Sinn macht oder sinnvoll ist und wie Sie sich fühlen, wenn Sie daran denken! Nehmen Sie ein Blatt Papier und schreiben Sie die 3 Sachen groß auf.
Sie werden wahrscheinlich feststellen, dass Sie zu jedem der drei Dinge, die auf Ihrem Blatt Papier stehen, ein Gefühl haben, einen Bezug. Vielleicht haben Sie auch ein Bild oder eine konkrete Situation vor Augen. In jedem Fall ist dieses organismische Fühlen nichts Rationales, sondern eine tiefere körperliche Erfahrung. Diese Resonanz spüren oder erfahren wir noch bevor wir ihr eine Bedeutung geben.
Und nun überlegen Sie nochmals kurz: Wie viel Zeit nehmen Sie sich eigentlich wirklich für diese Dinge in Ihrem Leben?
Denn ja, Sinn ist eigentlich etwas, das wir erleben, wenn wir etwas TUN, das Bedeutung für uns hat.
Die Antwort des Körpers im beruflichen Alltag
Wir alle tragen ein „ursprüngliches“ Sinn- und Wertesystem in uns, das durch Eltern, Lehrer, die Gesellschaft u.v.m. geprägt wurde. Dieses individuelle Wertesystem tragen wir auch in unserem Berufseinstieg und -alltag mit. Wie haben wir den Berufseinstieg erlebt, welche Personen haben uns dabei geprägt? Was wurde als „gute“ und sinnvolle Arbeit geschätzt?
Passen schließlich die eigenen Werte mit den Werten der Firma nicht mehr zusammen, wird es als Belastung empfunden – man trägt eine Last mit sich. Sinn bedeutet nämlich nicht, für andere etwas erfüllen zu müssen, das einen selbst Sinn-befreit erscheint. Denkt man zB an Start Ups: Zu Beginn voller Enthusiasmus Sinn-volles zu tun – der (persönliche) Sinn könnte sich rasch ändern, wenn andere äußere Umstände (zB Investoren) dazu kommen. Äußere Umstände führen daher häufig auch zu inneren Beschwerden. Um hier gut in der eigenen Selbstführung zu bleiben, kommen auch Resilienzfaktoren ins Spiel – im Besonderen die Selbstwirksamkeit. Es ist ungemein hilfreich, sich selbst, die eigene innere Vielfalt kennenzulernen, zu wissen bzw. zu spüren: „Wie ticke ich?“.
Schließlich geht es nicht nur darum, sein Äußeres, sondern ganz besonders sein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen, innehalten zu können, in eine achtsame Selbstführung zu gehen und dadurch Klarheit im Tun zu bekommen.
Sinn finden - aber wie? Transformation als Sinnlehre?
Immer mehr drängt sich daher die Frage nach dem wirklichen Sinn in unser Bewusstsein, sich seinen eigenen Sinn auch zu “lehren”, seinen eigenen Weg kennenzulernen und den Mut, ihn auch zu gehen - abhängig von der jeweiligen Lebenssituation und den Zielen, die wir uns setzen. Während der Pandemie war diese Lebenssituation (zumindest in der ersten Zeit) sehr eingeschränkt und daher die Ziele andere als danach. Es braucht aber weder Pandemie noch Krieg, um seine Lebenssituation zu überdenken. Es reichen persönliche oder berufliche Krisen, um in eine Sinn-Krise zu gelangen, die innere Leere zu spüren. Das Positive daran: wir müssen die Komfortzone verlassen, kommen dadurch in die Veränderung, in den persönlichen Change und Organisationen in die Transformation. Wenn das Alte keinen Sinn mehr ergibt, muss sich etwas ändern.
„Das Leiden hat nämlich dann einen Sinn, wenn du selbst ein anderer wirst.“
Yehuda Bacon (ein israelischer Maler, der als Kind Auschwitz überlebte)
Weise Worte! Und - besonders fein - was für einen einzelnen Organismus zutrifft, passt erst recht auch auf große Organismen - die Organisationen.

Der Faktor ZEIT - Das gönn ich mir!
Wir brauchen daher für die Sinnlehre Zeit, die uns das Er-Spüren, Er-Leben und Verankern wieder ermöglicht, damit dieses Wissen in unserem Körper wieder aktiviert werden kann.
Die Komplexität der Welt ist längst nicht mehr beherrschbar und Resilienz lässt sich nicht durch ständige Leistungssteigerung oder “Alibi-Aktionen” erreichen. Es braucht eine achtsame und Sinn-gestützte Denk- und Handlungsweise, die die Leitlinie im Umgang mit Risiko, Angst und Unsicherheit darstellt.
Transformation braucht verkörperte, erlebte und gespürte Resonanz. Gefühle und Resonanz sind keine Kopfentscheidungen, sondern spontanes inneres Feedback unseres Körpers, welches wir sehr ernst nehmen sollten.
Autorinnen
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Dipl. Päd. Andrea Auinger, MSc ist selbstständige Psychotherapeutin, zert. Trainerin für Mindful Leadership, EFT-Trainerin, Traumatherapeutin und Coach sowie Consultant und Gesellschafterin bei INOVATO und MOTIV Bildnachweis: Antje Wolm | Vera Borrmann, MA ist Philosophin am Human Technology Interaction Lab des Universitätsklinikum Freiburg, Yogalehrerin und -Ausbildnerin, Meditationsleiterin sowie Netzwerkpartnerin von INOVATO Bildnachweis: Rheinheart Malatag |
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