Personalengpass versus versteckte Ressourcen: 50+ und Schulabbrecher
Ausreichende Personalressourcen: Hat der klassische Bildungsverlauf ausgedient? Wie steht es um die Zielgruppen 50+ und Schulabbrecher als Ressourcen?
Einleitung
Seit Jahren ist das Thema Fachkräftemangel allseits präsent. Noch viel länger werden Anforderungsprofile mit einer Vielfalt von Kriterien gespickt, Formalabschlüsse sind unabdingbar, erst recht im Zeitalter der „Bachelor-Flut“. Wissen und Kompetenz muss mit Zertifikaten belegt werden. Das gibt Sicherheit, es ist ja alles bestätigt und dokumentiert.
Oder auch nicht? Ist ein Zertifikat Garant für Kompetenz? Was kann der frischgebackene Bachelor, der Absolvent der (kaum einschätzbaren) No-Name-Institution?
Geändert hat sich primär das Recruiting, neue Kanäle wurden erschlossen, Wunsch-Kandidaten werden aktiv angesprochen und zur Bewerbung ermutigt.
Letztlich gibt der Markt aber nicht her, was man an Personal-Ressourcen und Qualifikationen braucht. Nicht ohne Zeit für Entwicklung und Weiterbildung. Und fallweise nicht einmal dann.
Wie steht es um die Flexibilität der Entscheidungsträger? Wie groß ist die Bereitschaft, neu und anders zu denken? Chancen zu geben, wo vordergründig und formal nichts passt? Potenziale und Begabungen zu suchen und zu erkennen, anstatt Defizite zu orten?
Oder ist das gar nicht möglich?
Wie sind sie – die Schulabbrecher?
Fehlt es an Motivation und Disziplin oder auch an Intellekt? Nichts im Fokus als Vergnügen, faul und verwöhnt und Ich-bezogen obendrein? Unzuverlässig, nicht belastbar und an Work-Life-Balance - sprich an Freizeit - orientiert? Sind das Vorurteile?
Wie sind sie – die Azubis 50+?
Wie sieht es aus mit der Affinität zu neuen Technologien? Digitalisierung als Fremdwort? Sind Flexibilität und Anpassungsfähigkeit vielleicht weniger relevant als Besserwisserei und Krankenstand? Die Leistungsfähigkeit wird wohl auch nicht ausgeprägt sein, angepeilter Wechsel und programmierter Karriereknick sind doch klare Indikatoren. Oder nicht?
Fakten oder Vorurteil?
Randgruppen – bringen sie doch was (mit)?
Die Schulabbrecher hatten vielleicht gravierende Gründe wie massive familiäre Probleme, z.B. Krankheit eines Elternteils, damit einhergehende enorme emotionale Belastung. Oder Mobbing, Ausgrenzung und fehlende Unterstützung.
Wurde der falsche Schultyp gewählt?
Gab es während des Corona Lockdowns tatsächlich Qualitätsunterricht und ausreichende Quantität in Form von Homeschooling? Während dieser Zeit und in Folge kam es trotz milder Beurteilung und nahezu gesichertem Aufstieg in die nächste Stufe zu besonders vielen Abbrüchen.
Vielleicht waren auch falsche Freunde und pures Desinteresse ausschlaggebend.
Wie auch immer – was könnte die Folge sein? Welche nützlichen Eigenschaften könnten resultieren?
- Ein hohes Ausmaß an Resilienz und Frustrationstoleranz – ein Abbruch ist ja letztlich nicht schönzureden und muss verarbeitet werden.
- Flexibilität und Anpassungsfähigkeit als Notwendigkeit, trotz der Misere zu punkten.
- Schulabbruch als Wendepunkt – besondere Motivation und Zielstrebigkeit.
- Kreativität, Innovation und Freigeist – Störungsfaktoren / Flop in der Bildungseinrichtung, Top im Beruf.
- Eigenständigkeit – vielleicht gab es schon in der Schule weniger Unterstützung als die angepassten SchülerInnen erhalten haben.
Alles eine Frage der Sichtweise.
Resümee: Kein Vorteil ohne Nachteil.
Und die Stärken der Azubis 50+?
Die „Alten“ sind meist klassisch sozialisiert – Arbeitsmoral, Fleiß, Loyalität etc.
Im besten Fall bringen reife Menschen 50+, die sich umorientieren, ein hohes Maß an Reflexionsvermögen mit. Verantwortungsbewusstsein und Loyalität zählen häufig zu den Tugenden dieser Zielgruppe.
Langjährige berufliche Tätigkeit generiert verwertbare Erfahrungen, Problemlösungsfähigkeit, geübten Umgang mit Konflikten, interdisziplinäre Fähigkeiten etc.
Jemand, der sich mit 50+ für eine Ausbildung, eine Umschulung, ein neues Betätigungsfeld interessiert und entscheidet, ist zumindest: lernbereit, einsatzbereit, an Neuem interessiert, motiviert etc.
Und hat offenbar Zeit und Ressourcen, sich voll den Anforderungen bei Bildung und Job zu widmen.
Gibt es bessere Voraussetzungen?
Ist Personalengpass vielleicht auch eine Frage der Sichtweise?
Wäre es ein Lösungsansatz, bei der Definition der Anforderungsprofile umzudenken?
Einen Schwerpunkt auf Potenziale und Interessen und nicht so sehr auf Formalabschlüsse, klare Werdegänge und vorhandene Kompetenzen zu legen?
Ist folgender Vergleich lohnend?
Kosten für Suche, An- bzw. Abwerben und Binden einer passend qualifizierten Fachkraft versus Chance für Kandidaten 50+, älter und erfahrener, aber neu in der Sache? Basics und Potenzial vorhanden, aber Zeit für das Aneignen der nötigen Fachqualifikationen erforderlich.
Bindung ans Unternehmen im Gegenzug für die Chance, nochmals durchzustarten.
Dasselbe bei den Schulabbrechern:
Man, respektive der junge Schulabbrecher, lernt aus Fehlern – so mancher bereut den Abbruch und ist umso engagierter, motivierter, leistungsbereiter. Sehr zum Vorteil der Arbeit gebenden Unternehmen!
Aber das kann man auch anders sehen und das kann auch anders sein.
Polarisierung und Vorurteile als Anregung – einfach zum Nachdenken.
Zu guter Letzt: Für Aus- und Weiterbildung von Schulabbrechern, für die Neu-Orientierung der Zielgruppe 50+ mit Integration in den Arbeitsmarkt, d.h. in ein Dienstverhältnis gibt es sehr attraktive Fördermodelle. Eine allseitige Win-win-Situation.
Blog-Serie: Strategische Ansätze zur Auflösung von Personalengpässen
In Zeiten, in denen Personalengpässe zunehmend zum unternehmenskritischen Problem avancieren, sind strategische Ansätze zur Lösung dieser Herausforderung von höchster Bedeutung. In unserer Themenserie beleuchten wir in den nächsten Wochen und Monaten verschiedene Schlüsselaspekte, die Unternehmen in Angriff nehmen können, um dem Mangel an qualifizierten Mitarbeitern entgegenzuwirken.
Wir werfen einen Blick auf die Bedeutung einer flexiblen Unternehmens- und Führungskultur sowie einer ganzheitlichen Unternehmens- und Personalstrategie. Darüber hinaus werden die Rolle der Organisation, Prozesse und Outsourcing, sowie die Integration von Tools, Digitalisierung und Flexibilisierung diskutiert. Potenziale identifizieren, gezielt positionieren und weiterentwickeln, umfassen einen weiteren zentralen Punkt. Dabei werden flexible, gut ausgebildete und vielseitig einsetzbare Mitarbeiter und „Schätze“ wie Lehrlinge, Schulabbrecher, Azubis 50+, Global Talents, Pensionisten und die Integration beeinträchtigter Personen in den Fokus gerückt. Abgerundet wird die Serie durch einen Blick auf Smart & Professional Recruitment sowie die Bedeutung von Employer Branding und Personalmarketing in diesem vitalen Kontext.
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